Arbeitsablage für Dokumentation der Abschlussarbeit an der HBK Saar für den Titel Master of Arts in Media Art and Design (REUPLOAD der Repo von 2019)
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Vilém Flusser - Telematik: Verbündelung oder Vernetzung

Von der Tagung “Wo bleibt die Informationsgesellschaft?” des Gottlieb Duttweiler Instititus für wissenschaftliche und soziale Studien uin Rüschlikon (Zürich)

Einleitung

“Sie haben vielleicht, eben so wie ich, den Eindruck bei dieser Sitzung gewonnen, dass wir um ein Zentralthema, wie die Katze um den heißen Brei, schleichen. Und nämlich: Wir scheinen, aus dem neuzeitlichen in ein anderes Menschenbild hinein zu schlottern, und dieses Menschenbild zeichnet sich nur ganz unscharf ab und hat noch keine Konturen.
Das ist ja der Vorteil solcher Symposien, dass man sich derartiger Dinge bewusst wird. Ich habe deshalb vor, Ihnen darüber meine Gedanken mitzuteilen, aber bitte, ich habe sie nicht völlig durchgearbeitet, und Sie sind Zeugen dessen, was glaube ich Galilei eine “Experimentatione Mentale” genannt hat.
Ich möchte zuerst einmal sagen, dass ich glaube, dass wir nicht ein Menschenbild haben, sondern in einem Menschenbild drin sind, und dass “Paradigmenwechsel” im Grunde genommen meint, dass wir aus einem Menschenbild in ein Anderes hinüberwechseln.
Außerdem glaube ich nicht, dass die Menschenbilder aufeinander folgen, wie Sandwiche, sondern dass sie ineinander greifen, und dass alle vorangegangenen Menschenbilder in uns gegenwärtig sind.
Diese Gleichzeitigkeit der Vergangenheit mit der Gegenwart ist ja glaube ich ein wichtiger Aspekt des so genannten “posthistorischen Bewusstseins”. Ich werde Ihnen in Folge dessen versuchen, so schnell wie möglich und im Wettlauf mit der Uhr, vier Menschenbilder vor Augen zu führen, wo ich Sie bitte dabei zu bedenken, dass alle vier in uns aktiv sind, und dass wir, wann immer wir uns zu orientieren versuchen, uns anhand aller dieser vier Bilder zu orientieren versuchen. Ich werde Ihnen Namen geben: Das Klassische, das Jüdisch-Christliche, das Neuzeitliche und das Emportauchende, wobei ich unter Neuzeitlich das verstehe, was Lutz genannt hat: Das kartesisch-newtonische.”

Klassisches Menschenbild nach Platon

“Also zuerst das Klassische. Immer muss man sich noch ein Modell nehmen, ich nehme mir Platon.”

Von Form, Inhalt und der Kuh im Himmel

Eine Antropologie schließt immer eine Ontologie ein und umgekehrt. Für Platon gibt es eine Welt der Erscheinungen, und die verschleiern… (Unterbrechung durch technische Schwierigkeiten)
Die Welt ist für den klassischen Denker ein Schleier hinter dem sich die Wirklichkeit verbirgt.
Die Wirklichkeit besteht aus Ideen, aus Formen, die raum- und zeitlos sind, und die nach einer logischen Ordnung übereinander gestapelt sind, und, wir durchblicken, wenn wir mit einem seltsamen Röntgenauge, nämlich dem theoretischen Auge, durch die Erscheinungen hindurch blicken, erblicken wir diese Formen.
Zum Beispiel: wenn ich eine Kuh sehe und ich theoretisch auf die Kuh schaue, dann sehe ich: Es gibt eine Kuhform, eine “Kuhheit”. Durch diese Kuhform fließt der Inhalt, der amorphe Inhalt “Kuh”, hindurch. Die Kuh wird in diesem Sinn geboren und stirbt weil dieser Stoff (dieser Inhalt) diese Hülle durchfließt. Aber die Form der Kuh ist beständig - sie steht irgendwo im Himmel im Topos Uranikus, eingeräumt zwischen, sagen wir, üblichen Haustierformen, und untergeordnet der Tierform, die wieder untergeordnet ist, höheren Formen.

Diese seltsame Ontologie hat eine noch seltsamere Antropologie zur Folge.
Wir Menschen sind Wesen, die im Reich der Formen beheimatet sind, aber von innen in das Reich der Erscheinungen gestürzt sind, und bei diesem Sturz den Fluss des Vergessens durchkreuzt haben. Und die Gewässer dieses Flusses haben in uns die Erinnerung an die Ideen zugedeckt. Aber es gibt Methoden, die uns erlauben uns an diese Formen zu erinnern. In Folge dessen gibt es drei Arten von Lebensformen.”

1. Der Ökonom

“Die eine ist: Im Abgeschossenen, im Abgetrennten, in der Vergessenheit der Ideen zu leben. Das nennt Platon das ökonomische Leben, “zoon eukonomikon”, das ökonomische Tier. Es ist ein idiotisches Tier, im strikten Sinn des Wortes Idiotes. Es ist privat und es dreht sich im ewigen Zirkel der Widerkehr des Gleichen. Cyclos thees(?) kinesios. Die Ökonomie besteht für Platon aus solchen zyklischen Tätigkeiten wie Kochen um zu Essen und Essen um zu Kochen, Schlafen um zu Arbeiten und Arbeiten um zu Schlafen, Aufräumen um Unordnung zu machen und Unordnung machen um Aufzuräumen, Sterben um wieder geboren zu werden und wieder geboren werden um zu Sterben. Das ist verächtlich und verdient gar nicht einmal das Wort Leben.”

2. Der Politiker

“Dann gibt es die Möglichkeit sich an die Ideen zu erinnern und diese zu versuchen auf die Erscheinungen zu setzen. Das nennt Platon das politische Leben. Ich erinnere mich an die Idee des Dreiecks und male das Dreieck in den Sand und bin also ein Künstler.
Aber wenn ich näher hinschaue dann stelle ich fest, dass die Winkelsumme des Dreiecks, das ich in den Sand gezeichnet habe, nicht exakt 180° ist. Das heist, die Betrachtungen der Werke, die Betrachtung der “in die Erscheinungen aufgedrückten Formen”, führt zu Irrtümern, zu Meinungen, zu Doxae.
Wenn ich eine Form verwirkliche, so ist sie nie die wirkliche Idee. Es gibt kein verwirktlichtes Ideales.
“Verwirklicht” sage ich jetzt falsch, ich müsste sagen: “informiert”. Ich “informiere die Erscheinungen”, und wenn ich die Erscheinung informiere, so ist sie der Information der Idee nicht entsprechend. Sie verzerrt sie. Es gibt kein ideales Dreieck in den Erscheinungen, keinen idealen Staat. Darum müsste eigentlich der Eintritt den Künstlern in die Republik untersagt werden, die Künstler sind Verräter an den Ideen.”

3. Der Philosoph

“Und dann gibt es die Möglichkeit den Erscheinungen den Rücken zu drehen, und sich der Betrachtung, der Kontemplation der Formen zu widmen - das nennt Platon die Liebe zur Weisheit, Philosophiae.
Dadurch werde ich der strahlenden Formen ansichtig und gewinne Weisheit und ich ersehe auch die höchsten aller Formen, die Kalokagathia, das Schöne und das Gute. Und ich komme durch die Wahrheit, durch das Entschleiern aller derer , zu diesen höchsten Formen.”

Die ideale Gesellschaft

“Aus dieser seltsamen Antropologie: “Es gibt drei Typen von Menschen: den ökonomischem, den politischen und den philosophischen Menschen” - folgt auch die Idee der idealen Gesellschaft.
Die Unterlage, die Infrastruktur der Gesellschaft ist ökonomisch, und die Berechtigung der Ökonomie ist die Tatsache, dass es Leute gibt, die Sklaven haben und Frauen und Kinder die für sie ökonomisch arbeiten und in Folge dessen frei sind, die “Muße” haben Formen auf die Erscheinungen zu drücken. Die einzige Berechtigung der Ökonomie ist, dass sie die Politik ermöglicht.
Und Sie müssen sich vorstellen, wenn so ein politischer Mensch das Dreieck in den Sand gezeichnet hat oder einen Tisch hergestellt hat, so stellt er ihn dann auf dem Marktplatz aus, und auf dem Marktplatz gehen Leute herum, die absolut nichts tun. Nur betrachten. Das sind die Philosophen. Und die sehen dann durch den hergestellten Tisch hindurch: die Idee des Tisches, und können in Folge dessen den Tisch kritisieren.
Die Berechtigung der Politik ist diesen müßigen Menschen, den Philosophen, zu gestatten, aus den Werken die Idee heraus zu lesen, und in Folge dessen ist die Berechtigung der Politik die Theorie, und die Könige sind die Philosophen.”

Zur Aktualität dessen

“Ich lege Ihnen nahe:

  • dass sehr vieles davon gegenwärtig wieder anerkannt wird
  • dass wir in vielen Aspekten wieder so formal denken, natürlich mit anderen Vorzeichen, und
  • dass wir wieder in der Muße (in der Theorie) das Ziel des Lebens sehen,
  • dass für uns wieder die Ökonomie (die die einzige Berechtigung hat Politik (das heist Freiheit) und schöpferische Tätigkeit zu ermöglichen) (und dass das) den einzigen Sinn hat, dass wir wieder in die Schule gehen können. Schule und Muße ist, wie Sie wissen, im Griechischen das selbe Wort, scholeío.”

Jüdisch / Christliches Menschenbild

“Jetzt werde ich ihnen, genau so schnell, gehetzt von der Uhr, die zweite Antropologie vorlegen. Die ist noch fantastischer, sie ist surrealistisch.”

Von der Schöpfung

“Die Welt ist eine Schöpfung. Das heist sie ist ein Kunstwerk, ein Gesamtkunstwerk, und hat einen Author, einen Schöpfer.
Und wir sind Geschöpf(t)e. Das heist, auch wir haben diesen selben Author, und wir befinden uns mitten in der Schöpfung. Wir sind Kunstwerke, die mitten im Gesamtkunstwerk stehen.
Und das Gesamtkunstwerk hat eine einzige Absicht: Die göttliche Absicht, die das Kunstwerk hergestellt hat, hat die Absicht uns hinein zu stellen, und zwar, damit wir darauf hereinfallen wenn wir uns auf die Welt, auf die Schöpfung, einlassen.
Die Schöpfung ist eine Serie von Fußfallen, von Schlingen, die der Teufel ausgelegt hat, um uns von unserer eigentlichen Heimat, nämlich dem Schöpfer, um uns aus diesem Weg abzuleiten, uns zu verleiten.
Und wir haben dieses Jammertal, dieses Tränental der Schöpfung zu durchkreuzen, um die Reifeprüfung des Todes abzulegen.
Und wenn wir diese Reifeprüfung bestehen, dann kehren wir zum Schöpfer zurück.
Außerdem besitzen wir eine Art von Rückspiegel in Form von zwei Gnaden: 1. Die, die sie heute die “Vernunft” nennen, die Gracia Sophicienz, und 2. die Gracia Efficiencz. Und an diesen beiden Gnaden sind wir uns dessen bewusst, dass wir einen Schöpfer haben.
Also, wir haben vor den Figuren von Pirandello den Vorteil, dass wir auf unseren Author drauf kommen können, und zwar 1. durch Introspection und 2. durch Extrospection.”

Vom Sündenfall

“Aber diese surrealistische Geschichte hat verschiedene Haken. Einer davon ist:
Der Sura (das ist der Schöpfer der Absichtigen), der hat uns da in die Schöpfung hinein gesetzt, damit wir durch die Schöpfung schreiten. Aber wir haben einen Fehler begangen im so genannten Sündenfall, und wir sind uns des Authors irgendwie bewusst geworden, und wollen unseren eigenen Weg gehen.
Und seither sind wir in der verdammten Situation, dass wir JEDEN Falles der Welt verfallen. Wir können gar nicht zu Gott zurück. Aus dem Zustand des Pecare Posse (?) sind wir in den Zustand des Nonpecare Nonposse verfallen - wir können nichts als sündigen, und dem Schöpfer bleibt nichts übrig, als selbst Mensch zu werden, und dadurch die Sünden, unsere Sünden, auf sich zu nehmen, und uns in den Zustand des nicht-mehr-Sündigen (Karlheinz(?)Gönners(?))) einzuführen dank unserem Glauben, und dadurch können wir, ganz platonisch, der Schöpfung wieder den Rücken wenden und wir können uns den Strahlenden, der Gloriae, des paradisi Gloria zuwenden und heil, heilig dieser Schöpfung entkommen.
Sie würden sagen: “Das ist eine furchtbare Sache!” sobald sie den Glauben nicht mehr haben. Aber bedenken Sie einen seltsamen Aspekt dieser surrealistischen Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe.”

Zur Nächstenliebe

“Der Schöpfer hat uns nach seinem eigenen Ebenbild geschaffen, das heist, die Idee ist, er hat ein Stück Ton genommen (das heist hebräisch “Adamar”) und hat sich selbst darin irgendwie kopiert und so weiter, seinen Hauch hinein gehaucht und wir sind lebendig geworden. Und dadurch, wenn wir das Antlitz des Anderen betrachten sehen wir das Ebenbild Gottes.
Wenn wir also zu Gott heraus wollen, aus der Welt, und wenn wir Gott, über die Welt hinweg, über alle Dinge lieben sollen, wenn wir die Welt verachtend, über die Dinge hinweg, Gott lieben sollen, dann können wir das nur tun durch das Antlitz des Nächsten - denn im Nächsten, so wie er vor uns steht, ersehen wir, wie Gott ist.
Der Nächste ist nicht irgend ein Mensch - der Nächste ist mein Anderer. Mein Anderer, so wie ich der Andere des Nächsten bin! Und in diesem Verhältnis des Erkennens, des Anerkennens des Anderen, durch das sich-selbst-erkennen im Anderen, können wir Gott lieben, und das ist die einzige Methode. Die einzige Methode Gott zu lieben ist die Nächstenliebe.
Das ist die Erklärung für das Bilderverbot. Denn alle übrigen Bilder sind Bilder von Geschöpfen - also von der Schöpfung! Also sündig!
Das einzige Bild, das uns aus der Schöpfung zum Jenseits (Uram Habar) führt, das Einzige (!), ist das Antlitz des Nächsten. Die Nächstenliebe ist die einzige Methode zu Gott zu dringen, denn das Anerkennen des Anderen ist die einzige Methode das ganz Andere anzuerkennen, und zu erkennen, dass das Verhältnis zwischen Gott und uns das selbe ist wie zwischen mir und dem Anderen, oder, wie es Angelus Cilaesius gesagt hat; “ich weiß, dass ohne mich Gott nicht ein Nuh kann leben, werd ich zunächst(?), er muss zunächst den größten Geist aufgeben, denn was ich bin, das bin ich doch im Verhältnis zum Anderen, und was der Andere ist, das ist er doch im Verhältnis zu mir.” Diese dialogische Bindung, die im Judentum klar ist, aber auch im Christentum deutlich, die, glaube ich, kommt unter einem anderen Anzeichen in der neuen Antropologie wieder zu Worte.”

Zum Gedächtnis und der Datenspeicherung

“Ich möchte noch ein Wort sagen, da wir doch über Telematik und Informatik und solche Sachen sprechen.
Es gibt da auch eine seltsame Vorstellung des Gedächtnisses. Sowohl in der klassischen, wie auch in der jüdisch-christlichen Weltanschauung ist das Gedächtnis ein zentraler Begriff. In der Klassischen: Eine Mnemosyne. In der Jüdischen: Secher(?). Die klassische Idee der Mnemosyne ist, dass wir in unserem Inneren, in unserer Brust, die Erinnerung an die Ideen bewahren, und dass es Methoden gibt (die dialektische Methode) die aus diesem Speicher, der in uns ist, die Formen wieder heraus holen können. Und das ist die Grundlage der seltsamen Idee, dass wir einen Geist oder eine Seele haben. Das ist eigentlich nichts anderes als eine Reifikation des griechischen Begriffs der Speicherung von Formen.
Und im Jüdisch-Christlichen ist der Begriff des Gedächtnisses so: Für das Judentum ist der Tod eine Grenzsituation. Zum Unterschied vom Christentum glaubt das Judentum nicht, dass der Tod eine Reifeprüfung ist zum Eintritt ins ewige Leben, sondern, das Judentum sagt: “Der Tod ist eine Grenzsituation, über die wir nichts aussagen können. Dennoch gibt es eine Unsterblichkeit, nämlich: Wir sind im Gedächtnis des Anderen unsterblich.” - Das Anerkennen des Anderen ist nichts anderes als der Versuch, im Anderen bewahrt zu werden, so, dass (und das ist die Frage der Verantwortung): Der Andere ist verantworlich für meine Unsterblichkeit, und ich bin Verantwortlich für seine Unsterblichkeit. Und in dieser gegenseitigen Verantwortung kann man sagen, dass der Andere meinen Segen, und ich den Segen des Anderen.
(?) “Dein Gedächtnis ist mein Segen.”
Und das hat sehr viel mit Computern zu tun, und sehr viel mit theologischer Schaltung von Kabeln.”

Modernes Weltbild

“Ich werde versuchen sehr schnell das moderne Weltbild, im Sinne des französischen und englischen Wortes “modern”, zu schildern.”

Wissenschaft: Gott-Werdung durch Reflexion und der dadurch Entstehende Abgrund zwischen mir und der Welt

“Das alles, was ich vom jüdischen Weltbild gesagt habe und vom christlichen, ist von einem Standpunkt Gottes aus gesprochen. Es zeigt sich, dass wir selbst diesen Standpunkt erklimmen können, und dass wir uns das von außen anschauen können. Wie Münchhausen können wir uns an unserem Zopf heraus ziehen und uns selbst und die Welt von außen sehen. Das nennt man Reflexion.
Durch diesen Schritt zurück von mir selbst und der Welt gewinne ich den Eindruck;

  • dass die Welt eine ausgedehnte Sache ist, eine geometrische Sache
  • dass ich, wenn ich sie betrachte, eine denkende Sache bin, inklusive mein Körper Mein Körper wird dann ja völlig uninteressant. Der steht dann ja in der Welt drinnen und ist ein zu erkennendes Objekt, wie der Rest der Welt. Aber das, was ich “ich” nenne, das ist was Déscartes nennt: die “res cogitans”, die “denkende Sache”.

Sie merken schon an dem Wort wie er den Prozess des Denkens versachlicht. Wie er doch wieder, wenn er auch der Seele entgeht, vielleicht wieder in die Schlinge des Geistes fällt. Er versachlicht den Denkprozess.
Wenn ich nun diese denkende Sache bin stehe ich der ausgedehnten Sache gegenüber, und der Abgrund der Entfremdung klafft zwischen uns Beiden. Ich bin in die Subjektivität zurück getreten, die Urlebenswelt(?) ist in die Objektivität zurück getreten, dazwischen klafft die Entfremdung.
Und die Entfremdung kann auf zwei Methoden überholt werden:

  • Durch Erkenntnis, dass vielleicht(?) durch Angleichen des Denkens an die Sache, und
  • Durch Arbeit, das heist durch Humanisation der Natur und dadurch Naturalisation des Menschen - das heist Humanismus, diese Weltanschauung. Ich greife vor, indem ich die Hegelsche und Marxistische Deutung vorweggenommen habe.”
Ausdehnung der Welt weder zu fassen von unserem intervallhaftem Denken, noch von den Rechenmaschinen

“Für Déscartes ist das vorläufig eine methodologische Frage.
Wenn ich das Denken ansehe, so merke ich, es ist eine klare und deutliche Sache. Es hat eine arithmetische Struktur. Jeder Gedanke kann definiert werden, und zwischen jedem Gedanken und dem nächsten Gedanken klafft ein Intervall.
Hingegen ist die Welt eine ausgedehnte Sache, das heist, alle Punkte kleben aneinander, sie ist konkret.
Die Frage ist methodologisch: “Wie kann ich die denkende Sache, also die Arithmetik, an die ausgedehnte Sache, also die Geometrie, angleichen?”
Die typische Vorstellung Déscartes’ ist:
“Ich mache ein Achsenkreuz - egal wo. Wo immer ich das Achsenkreuz hinzeichne, dort ist das Zentrum. Von diesem Achsenkreuz aus bezettle ich alle Punkte mit Zahlen. Wenn ich alle Punkte bezettelt habe, analytische Geometrie, dann habe ich die Gesamtheit der Welt erkannt und dadurch kann ich sie auch zu ihrer Gesamtheit manipulieren. Wissen ist Macht! Wenn ich die Welt aus der Geometrie in die Arithmetik transportiere, dann weiß ich alles und ich kann auch alles.”
Das ist ja auch die Grundlage nicht nur des Humanismus, sondern auch des Rationalismus überhaupt. Nur ist da ein Problem: Wie kann ich denn alle Punkte bezetteln? Erstens gibt es ihrer, nach Ansicht Déscartes’, unendlich viele, denn Déscartes hielt ja die Welt, wie sie wissen, für unendlich. Er hat ja nicht unsere Weltanschauung. Und zweitens hielt er sie auch für kompakt, er glaubte ja nicht dass sie leer ist, sondern er meinte sie sei voll, sie habe ein hor o vakui(?).
Also wie kann ich alle Punkte bezetteln?
Die meißten Punkte laufen mir doch zwischen den Intervallen durch!
Deshalb sagte Déscartes: Ich kann analytische Geometrie nur machen, naja, mit Hilfe Gottes. Con cursus dei.
Was natürlich ein komischer Gott ist, der zu einer Hypothese der analytischen Geometrie degradiert wurde. Das konnte die Kirche nicht freuen. Aber dennoch; Es war ein Versuch sich an Gottes Stelle zu stellen.”

Ausdehnung der Welt theoretisch zu fassen durch Differentialgleichungen, aber immer noch nicht zu synthetisieren

“Diese Hypothese Gottes wurde unnötig, als Newton und Leibniz unabhängig voneinander auf die Idee kamen die Intervalle zwischen den Zahlen zu stopfen, und also die Differentiale zu integrieren. Dadurch entstand eine höhere Ebene von Zahlen, die Differentialgleichungen, und an denen konnten tatsächlich nicht nur alle Punkte bezettelt werden, sondern alle Prozesse formalisiert werden. Alle Prozesse überhaupt waren in Formen von Algorithmen auslegbar, mindestens in der These, und mindestens in der These war der Mensch Alison(?), und in Folge dessen auch allmächtig. Das ist glaube ich die ontologische und epistemologische Grundlage des Humanismus.
Es stellte sich aber ein Pferdefuß heraus.
Wenn ich mit dem Wissen zur Macht verhelfen will, wenn ich die Algorithmen anwenden will, dann muss ich sie in die sogenannten natürlichen Zahlen zurück übertragen, und das dauert lange. Länger als die vorraussichtliche Dauer des Universums, im Fall von …komplizierten Prozessen.
In Folge dessen begann sich, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, heraus zu stellen, dass nicht alles Wissen zur Macht führt, und dass der Rationalismus nicht eine Methode ist Allmacht zu gewinnen, und man begann am Kalkül zuerst, und dann an der Ratio überhaupt zu zweifeln, unverzügt zu verzweifeln, und was daraus, aus dieser Verzweiflung, kam, das können sie an so etwas wie Gulags und Konzentrationslagern erkennen.”

Trotzdem werden die Computer schneller
“Natürlich haben sich die zivilisierten Menschen dieser Evidenz nicht ergeben, sondern sie haben schnellere Rechenmaschinen erfunden. Schnellere Rechenmaschinen hatten ja ursprünglich den Zweck Differentialalgorithmen schneller als es der Mensch kann zu renumerisieren. Man dachte ja nicht an Komputation sondern al calculation. Ich sage das jetzt im Vorhinein, weil ich nicht weiß wie viel Zeit ich habe.

Was man erfunden hat, das entdeckt man erst später. Die Erfindungen schlagen auf den Menschen zurück und er entdeckt was er erfunden hat, und er wird anders. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Technik, und alles andere ist Kommentar.

Jetzt also, trotz des Verlustes des Glaubens ans Kalkül, kalkulierte man weiter.
Und zwar war die grundlegende Hoffnung des Humanismus dass sowohl das Subjekt als auch das Objekt schließlich aus unteilbaren Teilchen bestehen. Ich muss das Objekt so lange teilen bis ich auf ein Unteilbares komme, das Subjekt, so lange, bis ich auf ein Unteilbares komme, und dann diese beiden Kerle zusammen bringen, und dadurch habe ich den Welt und den Menschen durchanalysiert, die Erkenntnis zum Wissen gebracht und das Wissen zur Macht.

Es stellte sich aber leider heraus;

  • dass die Ratio ein viel schärferes Messer ist als man gedachte
  • dass der Humanismus durch Überfluss an Erfolg einen Purzelbaum geschlagen hat
  • dass er über sein Ziel geschossen hat
  • dass nichts unteilbar ist”
Teilbarkeit von Subjekten

“Zuerst stellte sich das auf der Seite des Objekts heraus. Wenn ich Atome, das heist: “Unteilbares” teile, dann komme ich auf Teilchen von Atome, und Teilchen von Teilchen, und zum Schluß komme ich zu dem seltsamen Resultat, dass ich nicht mehr weiß, ob das Teilchen noch ein Teil des Objekts ist, oder schon ein Teil des Subjekts. Die Frage, ob Quark ein Teil des Objektes ist oder ein Symbol des Subjektes ist eine, wie jeder Physiker weiß, falsch gestellte Frage. Diese Teilchen schwirren in irgend einer Gegend, wo die Trennung zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr hingreift.”

Teilbarkeit von Objekten

“Und etwas später geschah es auf der Analyse des Individuums. - Wir sind uns oft nicht dessen Bewusst, dass Indiviiduum und Atom Synonyme sind. Das “Individuum” ist die lateinische Übersetzung des griechischen “Atom”.
Man begann das Individuum zu analysieren, auf verschiedene Methoden. Zum Beispiel psychoanalytisch oder existientiell analytisch oder logisch oder.. das kann ich ja noch weiter machen. Neurophysiologische und so weiter.
Man stellte fest, dass man das Individuum teilen kann, und die Teile des Individuums wieder aufteilen, und dass ich dann auf Teilchen komme, von denen es keinen Sinn hat zu sagen, ob sie Subjektiv oder Objektiv sind.”

Machine Learning

“Nehmen wir an ich teile die Entscheidungen ((Denkt laut:) “Entscheidungen - das könnte doch ein Aspekt der individuellen Freiheit …”) - ich teile die Entscheidungen in Dezideme. Ich füttere die Dezideme in Apparate und die Apparate beginnen sich zu entscheiden, und Schach zu spielen. Sind dann diese Dezideme noch immer subjektiv, oder sind sie in dem Schach-spielenden Apparat schon objektiv?
Oder nehmen wir an: Die Tat. Die Tat - das ist doch ein Aspekt des Individuums. Nehmen wir an ich teile die Tat in Aktome, ich füttere die Aktome in Maschinen, und es kommen Roboter heraus, und die - die handeln! Zuerst einmal Stakkato, denn ich habe es ja aufgeteilt, aber dann verbleibe ich besser, und dann fließt die Bewegung der Roboter - ist dann das Aktom noch immer ein Aspekt des Subjektes? Oder schon ein Aspekt des Objektes?”

Seitenhieb in Richtung Emanzipation der Frau / Genderfrage

“So, dass man sozusagen die Trennung des Subjekts und Objekts von unten erlaufen hat, anstatt sie zu überholen, anstatt die einst heile Welt an der Oberfläche wieder herzustellen, so wie es, sagen wir, im Juden- / Christentum der Fall war. Obwohl auf eine komische Art und Weise. Es war eine Einung, aber eine verachtende Einung - der Körper in der Welt war doch der Sack der Sünder, und die Welt war eine verleitung des Teufels! Dennoch gab es eine Einheit. Im Speziellen für die Frauen und die Frauenbewegung. Die Frau war doch der Sack der Sünde, nicht wahr? Und die Maria, diese Gracia Graena et Fructus Ventris tui Iesus - Sie sehen den Bauch als Sackvorstellung.

Also. Diesmal war doch eine Einheit da, und jetzt ist diese Einheit wieder hergestellt. Aber sie ist von unten, sie ist unterlaufen, sie ist formal wiederhergestellt. Das kann man sehr gut in der Epistemologie zeigen.”

Vom Objekt und Subjekt im virtuellen “Brei” über Husserl zu einer neuen Anthropologie

“Das Problem Déscartes, des “Aediquatius Intellektus et Rei”, des Angleichens des Denken an die Sache, erwies sich angesichts dieses Siegs der Rationalität als ein falsch gestelltes Problem. Es kann ja kein angleichendes Subjekt ans Objekt geben, wenn im Grunde genommen weder Subjekt noch Objekt real sind, sondern wenn ein, sagen wir, “virtueller Brei” unter Objekt und Subjekt liegt, in dem die Partikel als stehende Wahrscheinlichkeitswelt im Nichts nur herum schwirren. Wenn ich so eine Ontologie habe, dann kann ich ja keine Epistemologie haben, woran sich das Subjekt ans Objekt angleicht.
Es erwies sich die Frage: “Was ist primär? Das Subjekt oder das Objekt? Wie kommt es zum Herantreten des Erkennenden an das zu Erkennende?”
Das hat glaube ich Husserl… Ich glaube Hussero ist der grundlegende Denker der Gegenwart und wir können nichts denken, nachgeschichtlich oder nachmodern, ohne auf Husserl zurück zu kommen.
Husserl zeigt auf:

  • dass die konkrete Gegebenheit die Erkenntnis ist, und dass der Erkennende und das Erkannte Extrapolationen sind
  • dass es kein Objekt geben kann, das nicht von irgend einem Subjekt erkannt wird, und kein Subjekt geben kann, das nicht irgend ein Objekt erkennt
  • dass Objekt und Subjekt - Individuum und Atom - Extrapolationen sind aus konkreten Relationen
  • dass wir uns die Welt nicht vorstellen dürfen als einen Kontext von Sachen, sondern als einen Kontext von Sachverhalten Um es Wittgensteinig zu sagen, oder um es Heideggerisch zu sagen: dass es nicht Dinge gibt, sondern die Art, wie sich etwas zu etwas wendet - eine Bewandtnis. Reine Bewandtnis.”

Das emportauchende Menschenbild

“In dem Moment in dem wir so relationell, systemanalytisch, systemsynthetisch Denken können, in dem wir den Begriff des Objekts und Subjekts opfern als Extrapolationen, dann müssen wir zu einer Anhtropologie gelangen, die wir noch nicht begonnen haben zu durchdenken.
Alle Anthropologien, die ich ihnen jetzt geschildert habe gehen davon aus, dass es so etwas gibt wie einen Kern im Menschen, ein Individuum, eine Identität, ein Ego, und dass dieses Individuum irgendwie vor der Welt oder in der Welt … .
Zum Beispiel die Frage “Ist das zentrale Nervensystem von der Welt oder ist die Welt im zentralen Nervensystem?” - das ist so ein typisches Problem. Ein unlösbares Problem, wenn ich die beiden Dinge trenne.”

Netzwerk / “Fluxus” - Spiegelung des Internets in den Köpfen

“Wenn ich hingegen die Relation als das Gegebene Annehme, wenn ich das Objektive und Subjektive als Abstraktionen extrapoliere, dann entstehen die Probleme gar nicht, sondern es entstehen andere Probleme.
Ich will Ihnen sagen was zum Beispiel die Folge ist. Diese absurde Folge dessen, dass ich annehme: “Ich habe einen Kern” oder “Ich bin ein Kern”, “Ich habe einen Geist” oder “Ich bin ein Geist”, “Ich habe einen Körper” oder “Ich bin ein Körper” .. all diese grammatikalischen Unmöglichkeiten.
Was daraus entsteht? Zum Beispiel eine soziale Frage: “Ist die Gesellschaft gut für den Menschen?” Das ist die Stellung, sagen wir, der Liberalen / Rechten. Oder: “Ist der Mensch gut für die Gesellschaft?” Die Stellung, sagen wir, der Linken.
Wo es doch deutlich ist, dass es keine Gesellschaft gibt ohne Menschen und keine Menschen ohne Gesellschaft, und das Gesellschaft und Mensch Extrapolationen sind aus konkreten intersubjektiven Relationen.
Wenn ich von der konkreten intersubjektiven Relation ausgehe, dann ist doch die Frage: “Was ist die Grundstruktur der Gesellschaft?” überhaupt falsch gestellt. Das ist konkreteste intersubjektive Relation. Und das, was man früher ein Individuum genannt hat, erweist sich dann als ein Knoten von Verbindungen zwischen Subjekten und zwischen Subjekten und Objekten, die sich entknoten, in dem Maß, in dem die Beziehungen entknotet werden.
Um das einfach und billig zu sagen: “Wir sind nicht - wir sind nur möglich.” - Und die Möglichkeit mit der wir sind realisieren wir in Zusammenarbeit mit anderen Möglichkeiten, seien sie subjektiv, seien sie objektiv. Und je dichter die Netze der Verhältnisse geknotet sind, desto höher ist der Grad der Virtualisation. Wir sind Virtualitäten, die der Realität näher rücken, ohne diese Grenze je erreichen zu können. Wir können uns nie völlig realisieren.”

Selbstvergessenheit

“Eine andere Sache / Entdeckung ist, und darauf möchte ich pochen (!), dass wir uns dann nicht mehr als irgend ein “selbst” auffassen können.
Sondern, dass wir uns dessen im Bewusstsein sind, dass, was immer wir sind, wir in Funktion des Anderen sind, und dass der Andere, was immer er ist, in unserer Funktion ist. Das ist auch logisch deutlich: Identität und Differenz implizieren einander.
Das heist, dass jede Selbsterkenntnis und jedes Selbstbewusstsein ein Möglichkeitsverlust ist, und dass ich mich nur in Selbstvergessenheit realisiere.
Nur wenn ich aufgehe im Verhältnis, zum Beispiel im Problem, zum Beispiel in der Kreativität, zum Beispiel in der Liebe zum Anderen, nur dann kann ich der Wirklichkeit näher rücken. Nur durch die Selbstvergessenheit. Das ist kein großartiger mystischer Begriff, das hat nichts zu tun mit orientalischer Mystik oder mit der Unio Mystika. Selbst wenn ich einen blöden Kriminalroman lese, und ich vergesse mich, dann verwirkliche ich mich. Selbst wenn ich einem idiotischen Televisionsprogramm zuschaue und dann mich vergesse, dann rücke ich der Wirklichkeit näher. Selbstvergessenheit ist eine Vorbedingung zum Dasein, und das ist eine natürliche Folge aus dieser Anthropologie.

Nähe

“Wenn ich nun akzeptiere, wie ich glaube ich muss, dass wir Möglichkeiten sind - dass ich zum Beispiel nichts Anderes bin, als ein Knoten, von dem, der eine Jacke trägt, und der dieses Zeugs da (Anm.: Zeigt auf sein Mikrofon) auf dem Bauch hat, und der Ihnen einen Vortrag hält, und der, dessen Frau da, hier sitzt. Wenn ich alle meine Beziehungen auflöse, dann wie bei der berühmten Zwiebel: Es bleibt nichts übrig! Und ebenso wenig ist dieser Tisch (ohne, dass ich jetzt auf Analysen gehe ob es ein Schwarm von Elektronen im leeren Raum ist) doch nur ein Tisch in Funktion von jemandem! Es gibt doch nicht einen Tisch ohne jemanden! Es ist doch ein Unsinn zu sagen: “Es gibt einen Stern, der noch nicht entdeckt wurde.”
Ich will garnicht darauf eingehen, weil leider - die Zeit rast, wie Entdeckung und Erfindung einander implizieren, und wir ja garnichts, .. weil ich ja nur entdecken kann was ich erfunden habe!”
(Unverständlicher Zwischenruf aus dem Publikum)
“Bitte? Ja. - Aber die Zeit ist entropisch. Es gibt eine ganz andere Zeit, nicht mehr die historische. Nicht mal jene, die von der Vergangenheit in die Zukunft führt - “die Zeit des Werdens”, sondern im Gegenteil: Es ist die Zeit, die aus der Zukunft auf uns heran kommt! Die Zeit des Vergegenwärtigens. Das “Werden”, dieses Verbrechen des historischen Denkens: “Dieser Tisch ist nicht - er wird.” - das ist vorbei! Sondern: Das Herankommen! Und hier komme ich zum zentralen Problem: Das zentrale Problem der Nähe.
Je näher zur Gegenwart, desto wirklicher. Je näher es zu mir rückt, desto wirklicher wird es, und desto wirklicher werde ich.
Wirklichkeit ist die Gegenwart, und die Gegenwart ist das Zusammentreffen des Herankommens des Abenteuers und des Daseins.
Ich möchte da nicht Heideggerisch werden, sondern Heidegger korrigieren. Ich nicht von der Vorhandenheit sprechen, denn ich würde ja sagen, dass “das was von der Zukunft her kommt, ist ja auch das, wo hin ich mich entwerfe, wo hin ich mich hinsorge.”
Aber auch für diese Analyse habe ich jetzt keine Zeit.
Wenn ich annehme, dass die Zeit (weil Sie gesagt haben: Zeit) von allen Horizonten zu mir heran rückt um sich zu gegenwärtigen, dass da ja die Unterscheidung zwischen Fortschrittlichem und Reaktionärem keinen Sinn hat, denn wohin ich blicke, dort kommt die Zeit an. Im Völkerrecht und wo auch immer.
Also: Wenn ich diesen Fortschrittsglauben, diese “Historizität” aufgebe, dann tritt das Problem der Nähe ins Zentrum des Denkens. Proxemik wird dann die Disziplin des Denkens sein. Je näher desto interessanter, das heist, desto möglicher, desto virtueller wird es.

Natürlich: Die Möglichkeiten, die kommen und gehen. Es gibt Möglichkeiten, die kommen näher, und werden dann wieder ablaufen. Ich will auch da die Strukturanalyse der virtuellen Felder … habe ich auch keine Zeit durchzuführen.

Aber, weh(?): der Tod des Humanismus. Ich liebe alle Menschen, weil alle Menschen Subjekte der Objekte sind.
Diese unjüdische, unchristliche, entexistentialisierende, verantwortungslose Menschenauffassung wird wieder ersetzt durch einen seltsamen Begriff der Nächstenliebe: “Ich liebe den, der mir am Nächsten stehe, weil ich für ihn sinnvoll Verantwortung übernehmen kann, und er für mich.”
Aber natürlich können wir uns nicht mehr begnügen mit dem Begriff der Nähe, mit dem das Juden- / Christentum gearbeitet hat, denn, wie viele Leute stehen wir ja in der so genannten “Face to Face”-Präsenz nahe: nach gewissen Analysen, höchstens zwanzig.
Ich muss also die “Face to Face”-Präsenz durch eine Telepräsenz erhöhen, und dazu habe ich jetzt die technischen Möglichkeiten.
Es gibt zwei Arten von Vergegenwärtungen:

  • Die “Face to Face”, wie wir sie hier erleben (wobei, zumindest dort wo sie sehr weit hinten sitzen ist es schon nicht mehr so “Face to Face”).
  • Und dann habe ich Maschinen, die mir erlauben, das Ferne näher zu bringen. Alle jene Maschinen die mit der Vorsilbe “Tele-” beginnen. Es ist eine andere Präsenz als die “Face to Face”-Präsenz.
    Ich kann in der Telepräsenz besser Schach spielen als in der “Face to Face”-Präsenz. Aber ich kann weniger Liebe machen. Obwohl es einen Teleorgasmus gibt! Und der Teleorgasmus vor dem physischen Orgamus den Vorteil hat, dass er, wie ich glaube, unerschöpflich ist, weil sich ja das Nervensystem nicht so ermüdet wie der Geschlechtsapparat.
    Dennoch: Es gibt eine “Face to Face”-Präsenz, vor Allem die orgiastische, aber auch andere. Und es gibt eine Telepräsenz. Die Telepräsenz kann ich technisch immer weiter verbessern. Das Teleskop ist der erste Versuch Telepräsenz herzustellen, es gibt jetzt durch die Herstellung von virtuellen Räume ganz andere Möglichkeiten von Telepräsenz. Ganz andere Sinne werden angesprochen, neue Sinne, elektromagnetische, werden provoziert, und die existierenden Sinne werden moduliert.

Abschließend

Ich komme zurück weil ich jetzt doch schließlich nun Enden muss um eine Diskussion zu ermöglichen.
Ich glaube, dass in diesem Welt- und Menschenbild, das ich außerordentlich ungenügend skizziert habe, in Mangel der Zeit, aber auch in Mangel von Wissen und Fähigkeit und Intuition - Einbildungskraft, wie ich das nenne. Ich glaube wir erkennen darin platonische Züge: Nämlich das Formale - die Form des Möglichkeitsfeldes, die Form der zu realisierenden Virtualitäten. Und andere im Jüdisch / Christlichem: die Form der Nächstenliebe, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzen wird. Ich bin nicht optimistisch. Ich glaube, dass die dritte Welt, die erst überhaupt in die moderne Anthropologie und die moderne Ontologie eindringt nicht die Geduld haben wird uns zu gestatten das neue Menschenbild, das neue Weltbild und das neue intersubjektive Relationsnetz auszubilden. Die werden uns das nicht gestatten. Aber das ist nicht wichtig, da, wenn wir den Realitätsbegriff verloren haben, wenn wir die Realität als eine unerreichbare Grenzsituation von Virtualität ansehen, dann ist das Wichtige diese Virtualität projizieren zu können.
Entschuldigen Sie die überstürzte Art wie ich gesprochen habe und ich bitte Sie um die Diskussion.”